Reise 1997

Wohin geht ein Anime Fan in die Ferien? Natürlich nach Japan! Ich habe dies im Frühjahr '97 mit meiner Schwester zusammen getan.

Vorwort

Folgender Bericht gibt die Reise wieder, die ich zusammen mit meiner Schwester im Frühjahr 1997 unternommen habe. Die Reise war zu 100% geführt und kostete rund 5,000 Franken. Geführte Reisen sind in Japan üblich und klappen tadellos. Zusätzlich müssen Sie noch mit mindestens 50.-- Franken pro Tag rechnen, dazu kommen noch alle Einkäufe die Sie im Einkaufswunderland Japan sicherlich tätigen werden.

Reisebericht

1. Tag, Ankunft Tokyo

Rainbow Bridge (Tokyo)

Rainbow Bridge (Tokyo)

Nach einem 3½-stündigen Flug treffen wir von Hong Kong her in Tokyo-Narita ein. Narita ist der Auslandsflughafen von Tokyo und, zusammen mit Osaka-Kansai, der normale Ort in dem Touristen in Japan eintreffen. Nach den Einreiseformalitäten steht schon Kubo-san (also Herr Kubo) bereit, um uns in Empfang zu nehmen und uns mit unserem vielen Gepäck (etwas was in Japan unüblich ist) zum Bus zu geleiten. Spätestens jetzt merkt man, dass man jetzt in Japan ist: Beim Bus begrüsst uns bereits der Fahrer, der selbstverständlich weisse Handschuhe trägt, mit einer Verbeugung.

Die stündige Fahrt nach Tokyo vergeht wie im Flug, während wir auf die wichtigsten Punkte unseres Aufenthalts aufmerksam gemacht werden. Nachdem wir an der einzigen In-Door Skihalle der Welt (immerhin 500m Piste) vorbeigefahren sind, treffen wir über die riesige Rainbow-Bridge am Hafen in Tokyo ein. Nach dem Eindunkeln treffen wir im Hochhausbezirk Shinjuku-West ein, unser Hotel, das Keio Plaza Inter-Continental steht genau gegenüber dem Rathaus von Tokyo (Metropolitain Governement Building), einem 250m Zwillingsturm in dem 14'000 Beamte bis tief in die Nacht arbeiten.

Den kurzen Spaziergang zu dem sich gleich neben dem Hotel befindlichen NS Gebäude (News Station, die japanische Version von CNN) durch den in der Zwischenzeit eingesetzten Regen, überstehen wir dank eines echten japanischen Billigschirms, den in Japan alle im Dutzend haben und den man im Hotel ausleihen kann, problemlos. Die Stockwerke 29 und 30, die beiden obersten, bestehen aus lauter Gaststätten, ca. 40 an der Zahl, die alle erdenklichen Gerichte bieten. Bis wir uns entschlossen haben - ein Sushilokal - sind allerdings die meisten schon zu, da es nach 20:00 Uhr ist. Da meine Schwester Sushi nicht mag, verputze ich fast eine doppelte Portion köstlichen Sushis, Tee und Bier wird, ohne dass man es bestellen muss, nachgeschenkt, typisch japanisch eben.

2. Tag, Tokyo

Rathaus von Tokyo

Rathaus von Tokyo

Nach einem kontinentalen Frühstück - leider habe ich den falschen Speisesaal angesteuert - steigen wir in einen typischen japanischen Tourbus ein, vor dem unsere Hostess uns begrüsst. Ein Fahrer, eine Hostess und zwei Führer (neben Kubo-san war auch Frau Helen Schwarzen, unsere Schweizer Reiseleiterin, immer dabei) sind normal, dass im Bus nur 10 Personen sitzen ist dagegen ziemlich exotisch. Entsprechend staunen die Japaner auch, wie wenige wir sind - Japaner reisen immer in Gruppen, für die häufig ein einzelner Bus nicht genügt.

Unser erstes Ziel ist der Meji-Schrein. Dieser Shinto-Schrein ist Kaiser Meji geweiht, der Ende des 19. Jahrhunderts die dreihundertjährige Isolation von Japan beendet hat. Industrialisierung, Abschaffung der Samuraikaste und das moderne Schulsystem gehen auf Kaiser Meji zurück, der damit der wohl bedeutenste der japanischen Geschichte ist. Der eigentliche Schrein liegt inmitten eines grossen, friedlichen Parkes, der, obwohl mitten in Tokyo gelegen, eine ruhige und friedliche Atmosphäre ausstrahlt. Im inneren Bezirk sieht man Shinto-Priester bei Ihrer täglichen Arbeit. Mit ihren weiten Hosen und hohen Hüten, die allesamt sehr geometrisch geschnitten sind, passen sie perfekt zum sehr japanischen Baustil. Im Gegensatz zu buddhistischen Tempeln sind grosse Shinto-Schreine sehr übersichtlich und geometrisch angelegt, ein Stil mit dem die Japaner unserer Moderne weit voraus waren. Es ist kein Zufall, dass z.B. das Bauhaus stark von Japan beeinflusst war. Kubo-san führt uns vor, wie man richtig eine Andacht hält (egal ob Shintoismus oder Buddhismus, das Prozedere ist genau das gleiche). Bevor wir wieder gehen - die Termine drücken in Japan immer - kaufe ich noch ein paar Glücksbringer.

Unser nächster Halt gilt dem Kaiserpalast, den man allerdings nicht besuchen kann. Trotzdem ist das Haupttor, mit seiner berühmten Doppelbrücke, ein beliebtes Ziel und meist sind Japaner beim Gruppenfoto zu beobachten. Von hier hat man einen guten Blick auf die Ginza, die bekannteste Einkaufsstrasse von Tokyo, mit ihren berühmten Superwarenhäuser wie etwa dem Mitsukoshi. Bald geht es weiter zum Asakusa Kannon Tempel, einem berühmten Buddhistischen Tempel im Asakusa-Quartier. Obwohl Dienstag ist, ist der Tempel voller Leute: Es ist Buddhas Geburtstag, eine gute Gelegenheit über Mittag rasch zum Tempel zu gehen - Buddhas Geburtstag ist kein offizieller Feiertag und die Leute arbeiten ganz normal. Kaum hatte ich die berühmte und riesige Papierlaterne am Eingang gesehen, wusste ich wo ich war: Eine der wichtigsten Szenen von Tenchi Muyo in Love spielte hier. Am erst besten Stand habe ich mir sofort etwas zu essen gekauft: Es waren 3 Bälle mit einer süssen Soyasosse, Kubo-san klärte mich später darüber auf, dass es sich um gestampften Reis handelt, eine für Tempel typische Zwischenmahlzeit. Es schmeckt sehr gut, ist allerdings ziemlich süss und entsprechend durstig wird man. In einem japanischen Tempel, der mehr an einen Jahrmarkt als eine Kirche erinnert, ist dies zum Glück kein Problem, fliegende Händler mit Getränken gibt es zu Hauf.

Tokyo Tower

Der Tokyo Tower

Bald darauf geht es weiter zur Ginza-Station, einer der grösseren U-Bahnhöfe von Tokyo, wo uns Kubo-san die Funktion der Ticketautomaten erklärt. Da ich keine Lust auf Shopping habe und auch nicht ins Hotel zurück will, setze ich mich ab und breche alleine Richtung Tokyo-Tower auf. Dieser 333m hohe Sendeturm ist eines der Wahrzeichen von Tokyo und der wichtigste Schauplatz von Tenchi Muyo in Love. Hohe Wahrzeichen haben die angenehme Eigenschaft, dass sie auch mit totaler Ortsunkenntnis schnell gefunden sind, so geht es nicht lange und ich stehe auf 150m und bewundere das imposante Panorama von Tokyo. Sie verkaufen auch sehr schöne T-Shirts, leider nur in den für das Land typischen Kindergrössen. ¥650 schrecken mich nicht davon ab, mich von den netten Liftdamen auf die in der luftigen Höhe von 250m gelegenen Special Observation Plattform fahren zu lassen. Diese ist übrigens nur geöffnet, wenn es nicht zu stark windet und obwohl draussen nur ein laues Lüftchen weht, spürt man das Schwanken des Turms schon ganz eindeutig.

Wenn man wieder runterkommt, erwartet den Besucher eine Shopping-Mall auf zwei Stockwerken, ein riesiger Spielsalon und viele Gaststätten. Da das Wetter schön ist, will ich aber in einem nahegelegenen Park, den ich aus 250m Höhe ausmachen konnte, essen. Leider habe ich nicht damit gerechnet, dass die Japaner extrem pünktlich sind und allesamt um 12:00 Uhr essen: Trotz aufwendiger Suche und schwierigem Rumfragen - im Schnitt vergehen 5 Minuten bis die Leute verstehen was man will - kann ich kein Take-Away Bento finden, es ist leider schon 13:00 Uhr. Schliesslich esse ich in einem billigen japanischen Restaurant, das eher an eine Kantine erinnert, für lächerliche ¥370 ein O-Bento, für weitere ¥500 trinke ich ein Asahi Bier. Dem Kellner konnte man es ansehen, dass er nicht allzuhäufig Touristen bedient, er bemühte sich aber sichtlich und freute sich als er merkte, dass es mir schmeckt.

Nachdem ich bei der gemütlichen älteren Frau an der Kasse bezahlt habe, laufe ich zum Hama-Roky Garden. Was vom Tokyo-Tower aus wie 20 Minuten ausgesehen hat, entpuppt sich als 1½ stündiger Fussmarsch. Aber zu Fuss sieht man bekanntlich am meisten, und so ist es auch hier. Erstmals sehe ich wie normale Tokyoter Quartiere aussehen, auch einen Park mit Spielplatz und eine Strasse, in der nur Golfläden ihre Waren anbieten, gehört zu den neuen Erfahrungen. Um 16:00 Uhr im Park angekommen, muss ich mich beeilen: Der Park schliesst bereits um 17:00 Uhr. In einer Laube, inmitten des Parkes, schläft ein Japaner in aller Ruhe auf der extra dafür vorbereiteten Liegefläche. Da er keinen Wecker hat wundere ich mich, wie er die Schliessung des Parks mitbekommen will?

Das ständige Grüntee trinken (kalt, aus dem Automaten) wirkt sich aus und die Natur fordert ihr Recht: Zum ersten Mal mache ich mit einer öffentlichen Toilette in einem japanischen Park Bekanntschaft. Wenn Mann das Pissoir im Vorraum benutzt steht man praktisch im Freien - jeder kann einem beim Geschäft zuschauen. Als eine Frau auf mich zukommt, sich hinter mir durchdrängt und in der Toilette verschwindet, realisiere ich, dass diese auch nicht nach Geschlechtern getrennt ist. Eine seltsame Erfahrung, nach wenigen Tagen hat man sich aber daran gewöhnt und fängt an sich zu wundern, wie unerwachsen wir mit solchen Dingen umgehen.

Zehn Minuten vor Fünf verstehe ich dann auch, warum man ruhig schlafen kann: Aus Lautsprechern, die mir vorher gar nicht aufgefallen sind, tönt plötzlich Musik. Ich höre noch ein bisschen zu, schliesslich ist Mozarts Hafnersymphonie mein Lieblingswerk von ihm (ich hoffe Sie mögen Vivaldi, seine Vier Jahreszeiten werden Sie in Japan in jedem zweiten Lift, Warenhaus oder Bahnhof hören), aber bei der zweiten Aufforderung beeile ich mich um noch kurz vor der Schliessung rauszuschlüpfen. Ich war vermutlich der letzte, Japaner sind sehr pünktliche Leute und kommen selten zu spät, etwas woran sich ein Tourist erst gewöhnen muss. Zu Fuss gehe ich zurück zur Ginza und besteige die U-Bahn Richtung Shinjuku. Ich komme dort zur Rushhour an und in einem Meer von Leuten finde ich den Weg aus dem meistfrequentierten Bahnhof der Welt. Leider erwische ich die falsche Seite, also muss ich um den Bahnhof rumlaufen, ein 30-minütiger Marsch! Wenigstens habe ich jetzt ein gutes Gefühl für die Ausmasse dieses Bahnhofs und der Gang ist recht interessant, ist die Gegend um Shinjuku doch ein bekanntes Vergnügungsviertel. Erstmals mache ich mit der aktuellen Mode der jungen Mädchen Bekanntschaft: Die eine Hälfte scheint ein Vermögen für Designerklamotten, die allesamt brandneu und teuer aussehen, auszugeben, die andere Fraktion läuft bis in die Nacht in der Schuluniform, die nur durch extrem grosse und lose Socken, die fast wie Gamaschen aussehen, aufgepeppt wird. Meine Schwester klärt mich später auf, dass sie beobachtet hat, wie sie diese durch Leim (!) festmachen, da die Strümpfe sonst niemals halten würden. Da Dienstag ist, haben übrigens alle schwarze Haare, am Wochenende bleichen sie diese oft. Warum nur am Wochenende? Ganz einfach: Da gebleichte Haare in Schulen nicht akzeptiert werden - Japaner haben ausnahmslos schwarzes Haar - müssen sie diese am Montag wieder schwarz färben, ob dies allerdings den Haaren gut tut wage ich zu bezweifeln. Jungs sind übrigens viel langweiliger, ausser ein paar verlorenen Homeboys und viel zu sauberen Punks ist nicht viel Modebewusstsein auszumachen, vielleicht habe ich aber einfach zu sehr auf die Mädchen geachtet...

Das Hotel ist schnell gefunden und im NS Gebäude sind ein paar Yakitori schnell verdrückt. Heute sind wir früher dran und wir können reichlich Japaner beobachten, die meist in kleinen Gruppen am Abendessen sind. Der Lärmpegel im Lokal ist sehr beeindruckend und die Japaner haben mit den bei uns bekannten, steifen Touristen rein gar nichts zu tun: Bei ihnen Zuhause verhalten sie sich ganz anders als wir es uns gewohnt sind. Anschliessend trinken wir in der Polestar Bar des Hotels ein Bier und ein Gin Tonic, der Blick auf das nächtliche Shinjuku vor dem Hintergrund von Tokyo ist atemberaubend.

3. Tag, Tokyo

Ginza by Night

Ginza by Night

Der Fischmarkt von Tokyo, der heute eigentlich auf dem Programm stand, fällt ins Wasser da er an einem Mittwoch im Monat geschlossen ist, selbstverständlich an diesem. Macht nichts, wir hätten um 4:00 Uhr aufstehen müssen und sind eigentlich ganz froh, dass wir noch ein paar Stunden weiterschlafen können. Nach dem Frühstück geht es auf die sogenannte Kubo-Tour, eine von Kubo-san fakultative Tour mit öffentlichen Verkehrsmitteln (für Touristen in Japan sehr ungewöhnlich, diese reisen ausschliesslich im Car).

Zuerst geht es in den Shinjuku-Garden, einem der grössten Parks von Tokyo. Die Kirschen stehen dort in voller Blüte und schon bald ziehe ich mich in ein Teehaus zurück, in dem ich mit ein paar Japanern bei einem Tee die Kirschblüten bewundere, die um das Teehaus wie in einem Schneegestöber herumfliegen. Da ich mich zum ersten Mal mit einem Kaffeautomaten rumschlage, erwische ich einen Tee mit Milch und Zucker - die Knöpfe waren leider nur in Kanji angeschrieben. Der Becher ist furchtbar heiss und ich frage mich, wie in aller Welt ich ihn halten soll. Schnell merke ich aber, wie die Japaner es machen: Die Becher haben unten einen erhöhten Boden, so dass man ihn zwischen Daumen und Mittelfinger an den Kanten halten kann, ohne sich zu verbrennen. Die Idylle währt nicht lange, schon bald muss ich weiter, um die Gruppe nicht warten zu lassen.

Mit der 100% automatischen Magnetschwebebahn geht es ins Neubaugebiet vor dem Hafen. Beim Umsteigen im Bahnhof Shimboshi sehe ich übrigens zum ersten Mal einen Shinkansen, einen Hikari der vom Süden kommend Richtung Tokyo Station unterwegs ist, einen Augenblick später ist er schon wieder verschwunden. Vom Hafengebiet, das durch Aufschüttung dem Meer abgerungen wurde, hat man einen herrlichen Blick auf die Rainbow-Bridge, den Hafen und Zentraltokyo. Vor Ort hat es viele neue Gebäude, die vornehmlich von Fernsehstationen und Hotels belegt sind, und kaum Strassen. Das spektakulärste Gebäude wurde erst vor wenigen Wochen eingeweiht, das neue Sendezentrum von Fuji-Television, neben NHK die grösste Fernsehstation. Nach der Besichtung essen wir im Cafe eine Pizza, die von einem richtigen italienischen Pizzaiolo zubereitet wurde und auch entsprechend schmeckt. Dies ist kein Wunder, gehört das Cafe doch zu einer Kette mit Lokalen in Rom, Florenz und Tokyo: dies sollte aber die einzige Gelegenheit bleiben, an der ich nicht japanisch gegessen habe.

Nach dem Imbiss trennen sich unsere Wege, die Gruppe geht mit Kubo-san ins Museum während ich, meine Schwester und Frau Schwarzen ins Kabukiza in der Ginza gehen, um das Kabuki-Theater zu sehen. Dort angekommen bleibt kaum Zeit, mein geliebtes O-bento zu kaufen, das unbedingt zum Kabuki gehört: Ausser meiner Schwester und Frau Schwarzen, unserer Reiseführerin, und all den anderen Touristen, essen die Leute ausnahmslos das wirklich köstliche O-bento, das vor dem Kabukiza verkauft wird, da wollte ich doch nicht auffallen. Das Stück handelt von einem mittelmässigen Maler, der, da er von seinem Fürsten nicht geachtet wird, Seppuku, rituellen Selbstmord, begehen will. Das Stück hat aber ein gutes Ende und ist ziemlich unterhaltsam und lustig. Während der Vorstellung feuern die Zuschauer übrigens ihre Lieblingsschauspieler lauthals an. Eine einzelne Vorstellung dauert eine gute Stunde, zwischen den 3 Vorstellungen werden Pausen von 30 Minuten gemacht. Ich kann Ihnen Kabuki empfehlen, es ist vielleicht nicht etwas, das man jeden Abend sehen möchte, da man kein Wort versteht, man kann der Handlung aber trotzdem folgen und mindestens einmal sollte man es gesehen haben. Die in den meisten Reiseführern erwähnte Simultanübersetzung für ausländische Gäste gibt es übrigens nicht mehr.

Als wir das Kabuki-za verlassen ist es Nacht geworden und die berühmten Lichtreklamen und Riesenmonitore der Ginza machen diese zum Tag. Wir bleiben aber nicht mehr lange und gehen zurück ins Hotel.

4. Tag, Tokyo - Takayama

Stromversorgung (Takayama)

Stromkabel werden in Japan in der Regel äusserst chaotisch verlegt

Schon kurz nach dem Aufstehen bin ich schon kribblig, meine erste Fahrt im Shinkansen, ein Bubentraum von mir, steht kurz bevor. Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Taxi zur Tokyo Station in der Ginza, dem Bahnhof in dem der Shinkansen hält. Um einen Bericht dieser Fahrt zu lesen, konsultieren Sie das Kapitel Fernverkehr in Japan für Anfänger. Auf dem Weg nach Nagoya, wo wir leider schon wieder aussteigen, sehen wir den Fuji-san so schön es in dieser Jahreszeit eben geht.

In Nagoya, der hinter Tokyo und Osaka drittgrössten Stadt Japans, steigen wir in einen Bus, der uns nach Toyota bringt. Dass diese Stadt den Namen des grössten Autobauers Japans trägt, liegt am Motomachi Werk, dem mit Abstand wichtigsten Arbeitgeber der Stadt. Alles in Toyota ist, auch ohne den Namen, Toyota, egal ob Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser, alle wurden von Toyota gebaut, fast jeder hier arbeitet für Toyota und fährt selbstverständlich einen solchen.

Eine nette junge Dame führt uns durch die Stanzerei und die Endmontage des Motomachi Werkes, in dem ausschliesslich der Toyota Crown, ein Wagen der oberen Mittelklasse, für den inländischen Markt gebaut wird. Nebst den imposanten Stanzmaschinen, in denen aus riesigen Blechbahnen (die um die 20t wiegen) die Teile der künftigen Autos gefertigt werden, erfahren wir auch einiges über die Arbeitszeiten etc. der Arbeiter. Wer auch immer das Gerücht von ameisenhaft arbeitenden menschlichen Robotern im Westen verbreitet hat, war vermutlich nie in Japan. Gearbeitet wird, nach schweizerischen Massstäben, ganz normal etwas mehr als 8 Stunden im Tag, an 5 Tagen die Woche. Zwar erledigten alle gewissenhaft und speditiv ihre Arbeit, es sah aber keiner aus als ob er jeden Moment den Tod durch Erschöpfung (karoshi) sterben würde, ein in den hiesigen Medien hochgespieltes Phänomen das tatsächlich nur wenige Einzelfälle betrifft.

In der Endmontage, in der die jungen Arbeiter im Akkord arbeiten, geht es schon viel hektischer zu und her, es ist aber keiner über 30 Jahre alt. Nach ein paar Jahren werden die Arbeiter an wniger aufreibende Stellen versetzt. Dieses Rotationsprinzip gibt es in Japan überall, Fachidioten gibt es kaum und der Chef von Toyota hat vermutlich auch einmal an einem Fliessband gearbeitet und kann, wenn Not am Mann ist, selbst Hand anlegen. Er wird dies auch ohne Zögern tun, Arbeit ist in Japan nie eine Schande. Es geht soweit, dass ein junger Mann mit Universitätsabschluss in Wirtschaft zuerst in der Versandabteilung der Bank arbeitet und bei seinen Eltern wohnen muss, weil er sich vom Mickergehalt keine Wohnung leisten kann. Allerdings kann er sich felsenfest darauf verlassen, dass er mit 50 an die ¥2'000'000, also über 200'000.-- Franken, im Jahr verdienen wird, selbst wenn er nur Abteilungsleiter geworden ist.

In der Montage können wir auch gut das kamban System beobachten, ein fast lächerlich einfaches System: Bei jedem Teil (bei Kleinteilen in jeder Schachtel) liegt ein Schild, eben ein kamban auf denen die Namen des Teils und des Herstellers stehen. Stündlich werden diese eingesammelt und den jeweiligen Herstellern zurückgesandt. Diese liefern entsprechend den Angaben wiederum die Teile, zusammen mit dem kamban, welches wiederverwendet wird, zurück zum Werk. Dieses System ist bei uns seit ein paar Jahren als just in time Produktion bekannt, eine japanische Erfindung. Dieses Prinzip, das einen ungeheuren Durchbruch bedeutete, wurde übrigens von einem schlichten Arbeiter vorgeschlagen. In Japan werden Vorschläge von Arbeitern nicht nur gefördert sondern auch geschätzt und häufig in die Tat umgesetzt, im Motomachi Werk wurden z.B. im Jahr 1996 von jedem Arbeiter im Schnitt 17 konkrete Vorschläge eingebracht von denen ein rundes Viertel (!) umgesetzt wurde. Überstunden werden in der Industrie, anders als bei Angestellten bei denen sie die Regel sind, übrigens nur bei konkretem Bedarf geleistet.

In Werken wie dem Motomachi, das übrigens seit 1959 produziert, wurde das japanische Wirtschaftwunder geschaffen, dessen bauliche Früchte wir in den drei Tagen in Tokyo bewundern durften. Auch wenn die Wirtschaft seit dem Zusammenbruch der Bubble Economy auch in Japan stockt denke ich doch, dass Japan auch in dieser Funktion noch immer Vorbildcharakter hat: Zwar wird von den Arbeitern und Angestellten ein hoher Einsatz erwartet, diese erhalten dafür aber auch eine entsprechend gute Entlöhnung und einen sicheren Arbeitsplatz (Japan hat ca. 3% Arbeitslosigkeit). Entgegen unseren Vorurteilen wird von niemandem unmenschliches verlangt. Zwar ist es richtig, dass viele Angestellte durchaus 12 Stunden pro Tag arbeiten, sie kompensieren dies allerdings am Arbeitsplatz durch Bummelei am Tage, um am Abend noch Überstunden leisten zu können, die in Japan einfach dazugehören und Ritualcharakter haben. Das einzige was allerdings wirklich leidet ist die Familie: Der typische Familienvater ist mehr oder weniger Zahlvater und sieht seine Familie eigentlich nur am Wochenende, entsprechend leben sich Ehepaare oft auseinander und die meisten Scheidungen in Japan erfolgen nach der Pensionierung des Mannes.

Famillienidyll (Kyoto)

Famillienidyll in Kyoto

Dass der Mann arbeitet während die Frau die Kinder grosszieht ist in Japan übrigens die Regel, Ausnahmen sind recht selten. Wir müssen hier allerdings auch nicht so tun als ob dies bei uns ganz anders wäre, in der Praxis ist es auch bei uns mit der Emanzipation nicht sehr weit her. Der grösste Unterschied liegt wohl darin, dass Frauen bei uns häufig Teilzeit weiterarbeiten und, im Vergleich zu ihren japanischen Geschlechtsgenossinen, viel mehr Möglichkeiten haben. In Japan arbeitet eine Frau normalerweise nach Schule oder Studium, Frauen wählen bei letzterem mehrheitlich die 2-jährige Kurzvariante, bis zu Ihrem ersten Kind - das heute meist das einzige bleibt, die Geburtenrate liegt bei 1.7 - um dann aufzuhören. Erst wenn die Kinder aus dem Haus sind wird sie wieder eine Stelle suchen. Da dies aber die Regel ist, ermöglichen Unternehmen den Frauen keine Karriere, nach unseren Massstäben werden Frauen in japanischen Unternehmen krass diskriminiert. Japans Frauen suchen, ganz dem japanischen Wesen entsprechend, nicht die Konfrontation und weichen in andere Branchen aus. Sehr beliebt, besonders bei Wiedereinsteigerinnen, sind z.B. kleine Läden oder Boutiquen, zu diesem Zeitpunkt ist das Familieneinkommen sowieso sehr hoch und das Geldverdienen steht kaum im Zentrum. Das angesprochene Familieneinkommen wird in Japan übrigens von der Frau verwaltet. Der Mann erhält ein Taschengeld und hat ansonsten zuhause kaum etwas zu melden, wichtige Entscheidungen wie Wahl der Schule, Umzug in eine neue Wohnung oder der Kauf eines Autos werden von der Frau entschieden. Der Mann, der in der Öffentlichkeit ein Pascha ist, hat zuhause eher die Rolle eines weiteren Kindes, um das die Frau sich kümmern muss!

Zurück in Nagoya steigen wir in den Hida 13, einen Regionalexpress Richtung Takayama, ein. Während der gemütlichen Fahrt - nach dem Shinkansen ist selbst ein Express gemütlich - können wir gut beobachten wie die Landschaft sich langsam ändert, das unendliche Häusermeer der Kantoebene löst sich langsam auf und wir fahren in die Japanischen Alpen.

Bei dieser Fahrt fällt uns eine weitere Eigenheit der Japaner auf: Sie sind ungeheuer neugierig. Wenn sie sich von uns unbeobachtet fühlen, verfolgen sie aufmerksam jede unserer Handlungen. Während sie dies auf der Strasse oder im Restaurant noch ziemlich unauffällig tun verlieren Sie, sobald eine Scheibe dazwischen ist, jegliche Scheu. Entsprechend ausgiebig wurden wir in den Bahnhöfen gemustert, wenn wir sie bemerkten folgte meist ein zurückhaltendes Winken. In dieser Situation müssen Sie unbedingt zurückwinken, besonders Kinder und Jugendliche haben daran ungeheure Freude, strahlen über das ganze Gesicht und führen einen halben Freudentanz auf! Schauen Sie sich aber unbedingt mal beim Essen unauffällig um, wenn Sie dies kurz nachdem Sie zu essen angefangen haben tun, werden Sie bemerken, dass die halbe Gaststätte Ihnen ganz genau zusieht, die Japaner platzen fast vor Neugier ob uns denn ihr Essen schmeckt, wir den Tee mögen oder mit den Stäbchen umzugehen verstehen. Ihre Scheu hält sie aber leider davon ab, uns ganz einfach zu fragen.

Kurz nach Sonnenuntergang kommen wir in Takayama an. Sofort bemerken wir, dass es in Japan im April im Gebirge noch recht kühl ist. Mit 900m Höhe ist der Badeort für uns Schweizer zwar nicht gerade im Hochgebirge, Tokyo lag aber auf Meereshöhe, es ist also doch ein ziemlicher Höhenunterschied. Die japanische Zuverlässigkeit lässt uns auch hier nicht im Stich, ein Angestellter des Hida Hotel Plaza nimmt uns bereits auf dem Perron in Empfang und führt uns zum wartenenden Bus, keine 5 Minuten später sind wir im kleinen, aber sehr gut eingerichteten Hotel. Einer der Vorteile dieser Hotels im Vergleich zu den internationalen Hotels in den grossen Städten ist die Tatsache, dass man hier im ganzen Hotel und auch im Ort in der Yukata, hier in den Bergen entsprechend im Sume herumlaufen kann. Also nichts wie aus den unbequemen Klamotten, Sume angezogen (welches aus Baumwollhose und Jacke und einer zweiten, gesteppten Jacke besteht und viel wärmer als eine Yukata ist) und schon sitzen wir sehr japanisch und sehr gemütlich beim Shabu-Shabu essen. Sofort fällt mir eine Eigenheit traditioneller, japanischer Kleidung auf: Die weiten Ärmel, die schon beim ersten Griff zur Tischmitte in der Soyasouce landen...

Nach einer köstlichen Mahlzeit (und viel Bier und Sake) beschliesse ich, ins Bad zu gehen, etwas was Japaner eigentlich vor dem Essen machen. Mir blieb aufgrund der knappen Zeit aber keine andere Möglichkeit und glücklicherweise war ich im Bad nicht der einzige, so dass ich mein erstes Bad ohne grössere soziale faux pas überstehe. Eine ausführliche Beschreibung bzw. Anleitung dieses Vergnügens finden Sie unter dem Stichwort Öffentliche Bäder. Nach dem Bad im 45° Celsius heissen Thermalwasser - Takayama hat viele bekannte Thermalquellen, welche es im vulkanischen Japan zu Zehntausenden gibt - und einem kleinen Spaziergang im Sume durch die Umgebung des Hotels, schlafe ich wie ein Stein ein.

5. Tag, Takayama - Kyoto

Honda Today (Takayama)

Ein Honda Today in Takayama

Heute komme ich zu meinem ersten echten japanischen Frühstück. Es kostet mich zwar ein bisschen Überzeugungskraft, das Personal, zwei nette ältere Damen, davon zu überzeugen, dass ich mich nicht verlaufen habe und wirklich ein japanisches Frühstück wünsche. Als das geschafft ist, erhalte ich sehr schnell ein tolles Frühstück, hier richtig japanisch am Tisch serviert und nicht an den von mir so sehr gehassten Buffets - ich mache schliesslich Ferien, selber Frühstück holen kann ich auch zuhause. Als Besonderheit gibt es hier auf einem Blatt geröstete Soyabohnen, eine bekannte Spezialität die zum Würzen des Reises verwendet wird, dies hat mir die Dame natürlich erklärt. Kaum habe ich zu essen angefangen, kommen beide besorgt fragen ob es mir denn schmecke (kono ryori ga ski des ka?), mein Strahlen und ein hai, totemo ski des! (Ja, es schmeckt ausgezeichnet!) beruhigt sie, dass sie den Gast, der von so weit gekommen ist, zufriedenstellen konnten. Westliche Touristen sind in Takayama noch seltener also sowieso schon, entsprechend sind sie es kaum gewöhnt mit uns umzugehen.

Satt und zufrieden schliesse ich mich der Gruppe wieder an - beim japanischen Frühstück war ich ausnahmslos alleine - und wir besuchen den Bauernmarkt von Takayama. In diesem Markt, in dem die Bauern der Umgebung frisches, für die japanische Küche unentbehrliches Gemüse aller Art anbieten, kann alles probiert werden, sogar der Sake! Dafür ist es mir noch zu früh, ich versuche aber gerne etwas grünen Tee und kaufe mir später ein mit Kastanienpüree gefülltes Konfekt, die grosse Spezialität von Takayama, das herrlich schmeckt. Danach gehen wir noch in ein Museum, in denen Festivalwagen ausgestellt sind.

Takayama ist, typisch für Japan, sehr eng und entsprechend sind die Autos viel kleiner als in Tokyo. Es geht nicht lange und ich sehe meinen ersten Honda Today, das gleiche Modell das auch Miyuki und Natsumi in You're under Arrest fahren. Der Today ist ein zweiplätziges Auto, das es nur in Japan gibt und auch sehr beliebt ist, vergleichbare Modelle werden von allen Autobauern angeboten. Auch wenn Mercedes-Benz und Nikolaus Hayeck glauben, mit dem Smart etwas neues erfunden zu haben, in Japan ist dies ein alter Hut. Zur Mittagszeit entdecke ich einen Automaten der Neon Genesis Evangelion Sammelkarten verkauft, erfolglos versuche ich welche rauszulassen. Da in Japan um 12:00 Uhr alle am essen sind, ist der Laden leider völlig verlassen und ich finde nicht sofort jemanden der mir helfen kann. Anime Merchandizing Artikel werden wohl noch warten müssen...

Ich organisiere mir ein typisches Teenager-Mittagessen, Donuts und Schokoladenkuchen, dazu einen heissen Kaffee aus dem Automaten, welches ich in einem kleinen Park verputze. Die Bäckerei war gefüllt mit Köstlichkeiten, die vermutlich alle genauso schmeckten wie mein Mittagessen, Backwaren sind in Japan also ebenfalls empfehlenswert.

Bald geht es mit dem Hida 11 zurück nach Nagoya, wo wir wieder in den Shinkansen Hikari umsteigen, der uns in kürzester Zeit nach Kyoto bringt. Ich kann nicht widerstehen und kaufe im Speisewagen ein kleines Sushi und ein Bier, unser Führer Kubo-san wundert sich langsam ob ich eigentlich immer esse... In der Schweiz hatten alle Angst, ich würde in Japan verhungern, es sieht aber langsam eher so aus als ob ich 10 Kilo zulegen würde. Bald kommen wir in Kyoto, dem grössten Bahnhof Japans, der allerdings noch nicht ganz fertig ist, an. Der Bahnhof beherbergt unter anderem ein Hotel und zwei Warenhäuser und ist architektonisch selbstverständlich auf dem neusten Stand. Das Taxi, das uns zum ANA Hotel bringt, ist mit allen Gadgets ausgerüstet: Zwei Fernseher, einer für die Gäste, einer für den Fahrer, ein Natel, Satelitennavigation und, als Krönung, ein kleiner Video-CD Player inklusive Karaokeanlage - ich halte mich der anderen wegen zurück, es hätte mich aber schon gereizt ein kleines Liedchen zu trällern. ANA heisst übrigens All Nippon Airways und ist die Inlandfluggesellschaft Japans, die andere bekannte Fluggesellschaft ist die JAL, die Japan Airlines, denen z.B. das Keio Plaza in Tokyo gehört. Ganz allgemein gehören grosse Hotels in Japan oft Bahn- oder Fluggesellschaften.

Das ANA Hotel hat einen Badeclub inklusive Schwimmbecken, endlich eine Gelegenheit meine Badebermudas, die ich extra mitgeschleppt habe, zu benutzen. Schon beim Eingang übersehe ich den subtilen Streifen im Teppich, der mich eigentlich zum Schuhe ausziehen aufgefordert hätte, und dies sollte nur mein erstes Missgeschick, aber klar das schlimmste, bleiben. Nachdem ich mich ca. 10 Minuten ziemlich umständlich angestellt habe sehe ich ein, dass eine eigene Badehose total überflüssig und hinderlich ist. Ich begebe mich nach dem Schwimmen noch schnell ins japanische Bad, von dem ich zum Glück weiss wie es funktioniert, und entspanne mich ein bisschen. Dabei komme ich mit einem Herrn ins Gespräch der vor 45 Jahren (also 1952, dies hat mich wiederum ziemlich erstaunt) in der Schweiz, natürlich auf dem Jungfrau-Joch, war. Sagen Sie den Japanern immer, dass Sie Schweizer oder Deutscher sind, besonders an uns Schweizern haben die Japaner eine Riesenfreude, die meisten waren auch einmal in der Schweiz, die in Japan die Traumdestination schlechthin ist. Auch sonst lohnt es sich die Nationalität durchblicken zu lassen, Deutsche und Schweizer gelten in Japan als fleissig, sauber und zuverlässig, halt genauso wie die Japaner selber sind. Amerikaner und erst recht andere Ausländer stehen in ihrem Ansehen deutlich tiefer.

Später machen wir auf privater Basis mit Kubo-san einen kleinen Spaziergang durch Gion, dem traditionellen Geishaviertel von Kyoto. Danach gehen wir Teppan-Yaki essen. Alle ausser mir, Kubo-san und Frau Schwarzen, unserer Reiseleiterin, nehmen ungesundes Fleisch, wir drei sitzen zusammen an einem Teppan und essen Meerfrüchte: Eine ideale Gelegenheit Kubo-san mit 1000 Fragen über seine Heimat zu löchern. Leider ist dies sein letzter Abend und entsprechend heisst es Abschied nehmen.

Nachdem die Reiseteilnehmer sicher in Taxis zum Hotel unterwegs sind, laden ich und meine Schwester Kubo-san noch auf ein Bier ein, eine Einladung die er nicht ausschlagen kann. Wir staunen als er uns in ein Lipton, also ein Café, führt. Dies ist aber nichts ungewöhnliches und es gibt dort selbstverständlich auch Bier. Japaner gehen, wenn sie etwas trinken wollen, entweder in astronomisch teure Hostessenbars, in denen Hostessen ihren grossen und kleinen Sorgen zuhören - aber nicht mehr - und sie die Rechnung mit der Firmenkreditkarte bezahlen oder in die gemütlichen, an roten Lampions erkennbaren Nachbarschaftslokale, in denen man auch etwas essen kann. Im Stadtzentrum ist die fast einzige Alternative das Café. Diesmal ergreift er die Gelegenheit und löchert uns über die Schweiz, Fragen die wir ihm noch so gerne beantworten. Nach über einer Woche Sightseeing ist es eine angenehme Abwechslung nicht immer nur zuzuhören. Am Nachbartisch sitzen zwei Mädchen, wobei eines aus den Tischunterlagen Kraniche faltet, der Kyotokranich ist sehr berühmt. Wir geben ihr unsere, damit sie mehr Material hat, als Gegenleistung erhalten wir einen 1cm, 5cm und 15cm hohen Kranich, mein liebstes Souvenir von Japan. Nun heisst es aber endgültig Abschied von Kubo-san zu nehmen und nach Hause zu gehen.

6. Tag, Kyoto

Torii des Heian Schreins (Kyoto)

Torij des Heian Schreins in Kyoto

Das ANA Hotel bietet ein ausgezeichnetes japanisches Frühstück in einem sehr schönen Speisesaal mit Blick auf den hoteleigenen Garten. In den drei Tagen, in denen ich im ANA frühstückte, habe ich nie auch nur einen Ausländer gesehen, erstaunlich, dass es die allermeisten Japanreisenden nicht wenigstens einmal versuchen. Einmal mehr habe ich die gute Gelegenheit, Japaner unter sich zu beobachten, einmal mehr fällt mir sehr deutlich auf, wie sich die Geschlechter unterschiedlich verhalten: Frauen haben eine völlig andere Art zu essen und sich zu verhalten als Männer, starke Unterschiede bestehen auch zwischen den Generationen.

Nach dem Frühstück treffen wir mit O-hachi-san (Das O wird betont, wenn das a betont würde wäre sie ein Essstäbchen, mit einem betonten i eine Brücke), unserer neuen Führerin zusammen. Sie hat Kunstgeschichte studiert, entsprechend liegt bei ihr der Schwerpunkt der Erläuterungen. Während Kubo-san uns viel über die wirtschaftlichen Aspekte Japans und der Arbeitswelt erzählt hat, erfahren wir bei ihr jetzt alles über die Geschichte Japans, eine sehr glückliche Mischung. Mit ihr und einem typischen Tourbus fahren wir alsbald los.

Gruppe von Schülern (Kyoto)

Gruppe von Schülern in Kyoto

Unser erstes Ziel ist der san-ju-san-gen-do, ein gen ist der Abstand zwischen zwei Säulen, ein do ein Gebäude und san-ju-san heisst dreiunddreissig (drei-zehn-drei), also ist das Gebäude genau 33 Säulenabstände lang. Da heute Samstag ist, treffen wir im Tempel auf unsere ersten Schulgruppen, ein Bild das sich uns in den nächsten zwei Tagen öfter bieten sollte: Am Wochenende haben die Schulen ensoku, Schulreisen in denen sie meist, wie wir Touristen auch, Tempel und Schreine besuchen. Der Anblick von 150 Schülerinnen und Schüler die, alle in ihrer Schuluniform, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen, gehört zu den Bildern von Japan, die man ein Leben lang nicht vergisst. Apropos Uniformen: Diese sind nicht nur von Schule zu Schule unterschiedlich - die Unterschiede sind allerdings ziemlich gering, Jungs tragen Kadettenuniformen und Mädchen Faltenröcke und Matrosenoberteil, beide in einem sehr dunklen Blau (kon) - es existiert auch eine Sommer- und Wintervariante. Wer jetzt aber glaubt, dass Japaner nach der Witterung entscheiden, welche sie anziehen, hat Japan noch nicht begriffen. Dafür gibt es zweimal im Jahr einen offiziellen Tag - koromo-gae, der Tag des Kleider-Wechsels - im Juni und Oktober, dies bedeutet, dass im April, als ich in Japan war, alle noch auf Winter eingestellt waren. Entsprechend bedauerte ich die Schüler, die in dicken Kleidern und wollenen Pullovern bei 25° leiden mussten. Aber nicht nur Schüler, denen nichts anderes übrigbleibt, halten sich an diesen Tag: Alle Japaner wechseln an diesem Tag auch ihre private Garderobe, entsprechend waren immer alle viel zu warm angezogen und wir die einzigen, die der Witterung entsprechend, leichte Sommersachen trugen.

Weiter geht die Fahrt zum Kiyomizu Tempel, der wegen seiner 25m hohen Holzkonstruktion, auf der der Tempel ruht, berühmt ist. In Japan sagt man zu jemanden, der etwas verrücktes vorhat, er wolle von der Terrasse des Kiyomizu Tempels springen. Viel interessanter, nicht nur für mich sondern vorallem für die Schulklassen, ist der Jishu Schrein. Dieser Shinto Schrein, der mitten im Gelände des buddhistischen Kiyomizu Tempels liegt, ist ein UNESCO Weltkulturgut und ist der Sitz des japanischen Liebesgottes. Verliebte können dort die Festigkeit ihrer Beziehung überprüfen, Singles für Glück in der Liebe bitten und Verheiratete ihre Ehe verstärken, ein Riesenspass und ein weiterer Beweis für die Lockerheit, mit der Japaner das Thema Religion handhaben.

Wie immer in Japan drückt das Programm und so sind wir schon bald wieder unterwegs zum Heian Schrein, dem grössten Schrein von Kyoto. Bekannt ist dieser nicht zuletzt dank seines riesigen Toriis, dessen Säulen einen Durchmesser von ca. 3 Metern aufweisen. Da es heutzutage schwierig ist, solche Zedern in dieser Länge zu finden, ist er heute allerdings aus Beton, majestätisch sieht er trotzdem aus. Auch sonst ist der Schrein sehr schön und es gelingt mir endlich, eine der hübschen Mikos in ihren weiten leuchtenden roten Rockhosen, hakama genannt, und weissen Blusen zu fotografieren. Dem Schrein angegliedert ist auch ein Park mit sehr bekannten Kirschblüten, entsprechend steht man dort, wie überall am Wochenende, im Stau mit tausenden von Japanern, die die Bäume ebenfalls bewundern und fotografieren. Ebenfalls am Wochenende kann man häufiger Frauen in traditionellen Kimonos beobachten, da diese Kleidung zwar wunderschön aussieht, ansonsten aber ziemlich unpraktisch ist, werden Kimonos nur noch an offiziellen Anlässen und, seltener, bei Tempelbesuchen getragen.

Saxophonspieler (Kyoto)

Ein einsamer Saxophonspieler in Kyoto

Während die Gruppe ins Kyoto Handycraft Center, ein Einkaufszentrum für traditionelles Kunsthandwerk, geht, verabschiede ich mich, um mich wiederum auf eigene Faust auf Entdeckungsreise zu begeben. Vorher verpflege ich mich aber noch mit Yakitori, bei Tempeln muss man nie weit suchen um sich zu verpflegen. Ich laufe los und treffe bald an einem der zwei grossen Flüsse, die Kyoto durchtrennen, ein. Flüsse sind in Japan immer Naherholungsgebiete und so setze ich mich ebenfalls hin und verdöse ein gutes Stündchen, dabei kann ich einen Fischer beobachten und lausche den Klängen eines salary-man (Angestellter) der einsam auf seinem Saxophon übt. Gerade als ich mein letztes Bild verschossen habe und nach einem neuen Film suche, fährt eine Gruppe kleiner Buben, im Alter von ca. 6 Jahren, auf Fahrrädern an mir vorbei. Sie bilden eine Baseballmannschaft und tragen entsprechend alle die gleiche Uniform und die gleichen weissen Helme, wer noch nie japanische Kinder gesehen hat, kann sich gar nicht vorstellen wie süss (kawaii) diese sind!

Später, als der Magen schon wieder brummt, besorge ich mir in einem japanischen Schnellimbiss fritiertes Fleisch - welches ich zwar für Fisch gehalten habe, solche Verwechslungen kommen schon vor - und begebe mich in den Park des alten Kaiserpalastes von Kyoto, wo ich mein spätes Mittagessen unter einem Kirschbaum einnehme. Die Gärten von Palästen dienen den Ortsansässigen ebenfalls als Naherholungsgebiet, entsprechend kann ich viele Familien mit ihren Kindern beobachten. Weiter kann ich viele Gruppen von Joggern beobachten, die, wie in Japan üblich, in der Gruppe ihre Fitness verbessern. Dass es sich um Gruppen handelt ist in Japan natürlich an der Kleidung zu erkennen, im Fall von ca. 30 jungen Frauen weisse Trainingsanzüge mit dem Emblem des Kyoto Tennis Clubs. In der Abendsonne gehe ich ins Hotel, um bald darauf schon ins Bett zu fallen.

7. Tag, Kyoto

Goldener Pavillion (Kyoto)

Ein Piéce de resistance in Kyoto: Der goldene Pavillion

Heute besuchen wir als erstes das Nijo Schloss, in dem der Tokugawa Shogun bei seinen Besuchen in Kyoto weilte - seinen Sitz hatte er in Edo, dem heutigen Tokyo, entsprechend wird die Zeit des Tokugawashogunats auch die Edozeit genannt. Das Nijo Schloss ist unter anderem für seine sehr schönen Wandmalereien berühmt. Das Hauptgebäude ist ein prächtiges Beispiel für die alte japanische Architektur inklusive den berühmten Nachtigall-Böden, die noch heute bei jedem Besucher zwitschern, in der Edozeit warnte dies die Wachen vor ungebetenen Gästen.

Das zweite Ziel, das wir mit dem Bus ansteuern, ist der Ryonji Tempel. Dieser Tempel des Zen-Buddhismus ist in aller Welt für seinen Steingarten berühmt, der auch ein UNESCO -Weltkulturgut ersten Ranges ist. Zwar kann auch ich mich der Ästetik, die die 15 Steine ausstrahlen, nicht ganz verschliessen, man muss aber vermutlich doch ein Zen-Buddhist sein, um es richtig zu verstehen. Die restliche Parkanlage, die das für Zengärten typische Bild von Bäumen, Steinen und Moos zeigt, hat mir auf jeden Fall besser gefallen. Die Gruppe hat sich zum Mittagessen in einem Gartenrestaurant verabredet, in dem ich zaru-soba esse, bei 25° Grad das einzig richtige (siehe Nudeln).

Mit dem Taxi, die Entfernung ist nur ein paar Kilometer, geht es weiter zum Kinkaku Tempel. Dieser ist allerdings unter diesem Namen kaum bekannt, weltberühmt ist jedoch sein populärer Name: Der Goldene Pavillon. Dieser ist das Pièce-de-Résistance von Kyoto und er ist wirklich wunderschön. Ein Shogun, der in den Ruhestand trat, kaufte von einem lokalen Fürsten das Gelände und liess sich diesen total vergoldeten Pavillon, der wunderschön in der Sonne glänzt, bauen. In diesem, und dem ihn umgebenden Park, verbrachte er seine letzten Jahre sehr zurückgezogen und der Meditation verschrieben.

Als die Gruppe vor dem Kinkaku Tempel auf den Bus wartet entschliesse ich mich, als ein Bus mit Heian angeschrieben auftaucht, diesen zu nehmen um im Handycraft Center, das sich gleich hinter dem Schrein befindet, eine Yukata zu besorgen. Im Bus, die Fahrt dauert fast eine Stunde, kann ich sehr gut die Leute beobachten. An der Endstation angekommen, merke ich, dass der Bus zur Heian Station, nicht zum Heian Schrein fährt, egal, kann ja nicht weit sein. Über eine halbe Stunde später komme ich dort an und finde bald das Handycraft Center und eine schöne blaue Yukata, dies obwohl ich mich als Mann ausnahmsweise diskriminiert vorkomme: Für uns gibt es nur ca. 20 verschiedene Modelle, während Frauen unter hunderten von in tollen Blumenmotiven bedruckten Yukatas auslesen können, dafür haben Männer 3 verschiedene Grössen. Der Verkäufer verkauft mir L, also Large (es gäbe noch Small und Medium), in der Schweiz musste ich allerdings feststellen, dass dies viel zu gross ist. Als Grundregel kann gelten: S ist für Zwerge, L für Hünen und M für 90% aller Mitteleuropäer, probieren Sie sie aber an. Zum Glück habe ich ein paar Freunde die 2m gross sind, so kann ich sie wenigstens verschenken. Beachten Sie aber, dass z.B. bei T-Shirts oder Poloshirts L meist die grösste Grösse ist, dieser aber höchstens unserem M entspricht.

Von dort aus gehe ich weiter zum Kyoto Tower, einem Sende- und Aussichtsturm, der das ansonsten sehr flache Kyoto überragt. In Japan scheint man kein Kabelfernsehen zu kennen - das gewaltige Gewirr der Überlandleitungen ist eh schon gross genug - entsprechend haben alle japanischen Städte solche Türme, in Tokyo u.a. den Tokyo Tower. Auf die grössten kann man immer rauf, um sich einen schönen Überblick über die Stadt zu verschaffen. Dass in Japan der Strom über Überlandleitungen und nicht unterirdisch geführt wird, hat übrigens einen einfachen Grund: Bei den so häufigen Erdbeben werden unterirdische Leitungen oft beschädigt, Wasser und Gas kann man zur Not in Flaschen anliefern, ohne Strom sind die Japaner aber völlig aufgeschmissen. Freileitungen halten nicht nur besser, sie sind auch viel schneller repariert. Der Kyoto Tower ist Teil eines Warenhauses in dessen Untergeschoss, nebst den obligaten Lebensmitteln, auch viele Lokale sind. In einer Auslage entdecke ich ein herrliches Sashimi, da meine Schwester aber nicht dabei ist und sie bestimmt auch essen möchte, verzichte ich aber schweren Herzens und breche zum Hotel auf.

Dort angekommen muss ich feststellen, dass meine Schwester schon gegessen hat, sie hat in einem der urjapanischen Nachbarschaftslokalen gegessen! Da ich tief in der Nacht noch etwas vorhabe, bestelle ich ein Donburi und, für später, ein paar Sandwiches aufs Zimmer. Danach muss ich zur Réception: Der Formel 1 Zirkus startet heute Nacht in Argentinien, ein Spektakel das ich mir niemals entgehen lasse, ein Japanurlaub hält mich natürlich auch nicht davon ab. Zwar weiss ich, dass das Rennen im Fuji-TV (überall in Japan Kanal 8) übertragen wird, ich kenne aber die Zeitverschiebung Japan-Argentinien nicht. Das Hotelpersonal an der Reception spricht zwar ein ausgezeichnetes Englisch, leider aber nur über typische Hotelthemen... Nach 10 Minuten greife ich zum letzten Mittel: Ich nenne den Namen Ayrton Senna - er ist in Japan sehr beliebt, da er mit Hondamotoren Weltmeister wurde - mache Steuerbewegungen und imitiere Motorenlärm. Zufällig anwesende andere Ausländer betrachten mich als ob ich übergeschnappt wäre, bei meinen japanischen Gesprächspartnern ist aber der Groschen endlich gefallen. Dass ich weiss, dass Senna Hondamotoren fuhr erstaunt sie ziemlich, dass ich auch noch Ukyo Katayama und Shinji Nagano, die beiden, zu diesem Zeitpunkt in der Formel 1 fahrenden Japaner, kenne, führt aber zu einem grossen Hallo und 10 Minuten später weiss es das halbe Hotel und ich weiss endlich, dass das Rennen um 1:00 Uhr in der Früh übertragen wird.

Das Rennen war übrigens nicht überragend spannend und mit Jaques Villeneuve hat es auch keinen sonderlich überraschenden Sieger. Viel interessanter war es dabei, den beiden Kommentatoren zuzuhören. Leider kann ich die typische Art, wie in Japan mit vielen Aaaahhhs... und Oooohhhsss... kommentiert wird, nicht wiedergeben, das muss man einmal gehört haben. In Sachen Begeisterungsfähigkeit und Lautstärke können es japanische Kommentatoren übrigens locker mit den Brasilianischen aufnehmen.

8. Tag, Kyoto - Yoshino - Nara

<q>Fastfood</q> (Tokyo)

Eine etwas andere Art von Fast Food

Mit einem sehr komfortablen Bus brechen wir zu unserer einzigen langen Überlandfahrt auf, nach Yoshino sind es immerhin 3 Stunden. Zwar ist die Strecke nicht sonderlich lang, das Strassennetz in Japan ist aber ziemlich schlecht ausgebaut (aber natürlich immer in erstklassigem Zustand), in Japan fährt man eben Zug und nicht Auto. Um uns die Zeit zu verkürzen, lehrt uns O-haschi-san ein japanisches Kinderlied, das, der Jahreszeit entsprechend, sakura-sakura (Kirsche-Kirsche) heisst und sehr schön ist. Nach dem Singen in der Gruppe will sie uns noch motivieren, es doch Solo zu versuchen, der Bus ist selbstverständlich mit einer Karaokeanlage (kara-oke heisst übrigens leeres Orchester, kara leer und oke ist eine Verkürzung von Orchester) versehen. Wir Schweizer gehören allerdings nicht gerade zu den singfreudigen Völkern, entsprechend gelingt es ihr nicht. Das Lied hörte ich übrigens in Osaka wieder: Aus einer Lichtsignalanlage! Normalerweise zwitschern diese in Japan einfach, zu Weihnachten werden sie aber auf Jingle-Bells, im Frühjahr eben auf sakura-sakura umgestellt.

Yoshino ist ein Bergort der in erster Linie von Wanderern, ein Hobby das in Japan genauso beliebt ist wie bei uns, besucht wird. Die Kirschblüte in Yoshino ist im ganzen Land bekannt und, obwohl sie hier im Süden des Landes schon fast vorbei ist, kommen trotz des Wochentags zehntausende von Japanern hierher. Der Bus muss etwa einen Kilometer vor dem Ziel anhalten und wir müssen das letzte Stück des Wegs zu Fuss gehen, wären wir später gekommen, hätten wir locker eine Stunde laufen müssen, ich wage mir nicht auszudenken, was in Yoshino am Wochenende los ist! Nach einem Mittagessen - ich habe schon wieder zaru-soba, die ich so schätze gegessen - tue ich es den Japanern ein bisschen gleich und wandere ein Stündchen. Trotz meiner guten Schuhe (Salomon Light Hiking Shoes, die sich sehr gut bewährt haben) eine ziemlich anstrengende Sache, da die Berge in Japan ziemlich steil sind. Entsprechend wandern die Japaner nur ziemlich kurze Strecken und alle paar hundert Meter gibt es ein Lokal oder zumindest einen Verpflegungsstand, Wanderungen über 10 Kilometer, wie sie bei uns üblich sind, unternehmen nur Sportsleute.

Zurück im Dorf stellen wir erleichtert fest, dass der Car in der Zwischenzeit gewendet hat und in der Poleposition auf uns wartet, die Polizisten, die alle Hände voll zu tun haben und ca. 50 Cars herumdirigieren, haben dem Bus mit den Ausländern natürlich den besten Platz organisiert - es ist in Japan eine gute Sache, Tourist zu sein. An weiteren 50 Cars vorbei (wir haben sie gezählt), die alle auf der Strasse warten um wenden zu können, fahren wir wieder weiter nach Nara, das ebenfalls über 2 Stunden entfernt liegt. Es ist zwar fast unglaublich, aber ich habe keine Japaner beobachtet, die auf ihren Bus hätten warten müssen: ein gutes Beispiel wie reibungslos in Japan immer alles klappt.

Als wir am Abend in Nara ankommen erklärt uns der Fahrer, dass er nicht vor das Hotel fahren könne da die Strasse zu eng sei. Er lässt uns einfach bei einer Ampel an der Hauptstrasse raus, der Hotelpage steht aber schon bereit. Dies obwohl der Fahrer nicht genau wusste, wie lange die Fahrt dauern würde! Japaner machen kaum je etwas spontan, alles ist immer durchorganisiert, geplant und durchdacht. Die angenehme Seite für uns Touristen ist es natürlich, nie irgendwo auf irgendwen warten zu müssen, das unangenehme ist es allerdings, dass sie kaum flexibel sind. Wenn Ihnen ein Tempel besonders gut gefällt, können Sie nicht einfach den nächsten überspringen um etwas länger zu bleiben, oh nein, so läuft das in Japan einfach nicht, ich empfehle Ihnen, sich einfach, wie jederman in Japan, zu fügen.

Am Abend gehen wir in ein kleines Lokal, das O-hashi-san für uns ausgesucht hat, echt japanisch essen, entsprechend klein ist die Gruppe auch. Ich wundere mich immer wieder, wie wenig sich die Leute bei uns bemühen, japanische Küche kennenzulernen und wieviel sie dabei verpassen. O-hashi-san kann leider nicht mitkommen, da sie Familie hat und jeden Abend nach Osaka zurückfährt - Familie ist in Japan extrem wichtig und entsprechend werden auch lange Fahrten in Kauf genommen um am Abend zurückzukehren. Für japanische Geschäftsleute (salary-men, also Angestellte) ist es nicht unüblich, um 23:00 Uhr nach Hause zu kommen, 5 Stunden zu schlafen und um 6 Uhr das Haus wieder zu verlassen! O-hashi-san hat aber Glück, nach Osaka sind es nur 45 Minuten. Das Essen ist vorzüglich und wird in wunderschönen Lackschalen und Schachteln, wie es bei aufwendigerem Essen üblich ist, serviert. Das Trinkgefäss für den Sake kann man sich aus einem Korb selber auslesen und keines sieht aus wie das andere. Das exotischste, das ich übrigens in Japan gegessen habe, ass ich an diesem Abend: eine Schnecke, bei uns aber dank der Franzosen auch nichts aussergewöhnliches, in Japan werden sie allerdings ohne Sauce gegessen.

Um den erfolgreichen Abend zu beenden, es hat selbstverständlich allen geschmeckt (auf der ganzen Reise hätte ich nie gehört, dass irgendjemand irgendetwas gegessen hätte, das er nicht mochte) gehen wir zu einem Umtrunk in die Hotelbar. Ich trinke dabei ein Yebisu-Bier, eine Nobelmarke der Kirin-Brauerei und das Lieblingsbier von Misato Kusaragi (Neon Genesis Evangelion). In dieser Nacht erwachen wir beide, nicht das Bier, das seine Wirkung zeigt, sondern ein Erdbeben weckt uns. Zwar sind Erdbeben ganz normal und es handelt sich auch nur um zwei kurze Erdstösse, man hat aber doch ein mulmiges Gefühl.

9. Tag, Nara - Osaka

Hirsch und Laternen (Nara)

Ein Hirsch vor den berühmten Steinlaternen von Nara

Als meine Schwester am Morgen zum Fenster hinausschaut, entdeckt sie als erstes einen Hirsch, der mitten durch die Stadt läuft. Die heiligen Hirsche sind das Wahrzeichen von Nara und in ganz Japan berühmt. Nach dem Frühstück brechen wir zum Kasuga-Schrein auf. Dieser Schrein, der zu Fuss in nur 20 Minuten erreicht werden könnte (wir benötigen im Taxi nur ein paar wenige Minuten), ist berühmt für seine über 3000 Steinlaternen. Diese für Japan so typischen Laternen sieht man überall, kein Park oder Garten verzichtet auf sie, erst recht kein Tempel, da sie sehr dekorativ aussehen. In der Zwischenzeit bieten Gartenbaucenters diese auch bei uns an, wenn Sie also einen Hauch Japan in Ihren Garten bringen wollen eignen sich die dekorativen Laternen sehr gut. Die Laternen, die allesamt von Spendern gestiftet sind, werden zweimal im Jahr angezündet, ich kann mir leicht vorstellen, dass dies ein äusserst schönes Erlebnis sein muss. Der Schrein selber ist sehr schön, da aber eine Hochzeit stattfindet, ist er leider für uns nicht zugänglich.

Ich muss mich jetzt von der Gruppe trennen, habe ich doch am Vorabend in einem Kino in Nara den Neon Genesis Evangelion Film Evangelion:Death and Evangelion:Rebirth angeschlagen gesehen und die erste Vorstellung ist um 11:00, da wir um 14:00 nach Osaka weiterreisen, die einzige Gelegenheit. Im Kino angekommen scheint es erstaunlich leer, die Vorstellung sollte doch in 10 Minuten beginnen. Leider kann ich kein Kanji lesen, sonst hätte ich vermutlich realisiert, dass diese Vorstellung die Matinee ist, die nur am Sonntag stattfindet. Ich hätte allerdings auch auf die Tatsache achten können, dass die Zeit als einzige in Rot angeschrieben war, selbst in der Schweiz das sichere Zeichen für eine Sonntagsvorstellung.

Ich beschliesse, dem Reiseprogramm auf eigene Faust nachzugehen, also wandere ich alleine zum Todaiji-Tempel. Auf dem Weg dorthin treffe ich auf eine Gruppe Kinder, die gerade aus dem Kindergarten kommen, mit ihren makellosen kleinen Uniformen und den übertrieben um sie besorgten Kindergärtnerinnen ein einmaliges Bild. Im Tempel angekommen, treffe ich wieder auf die Gruppe, glücklicherweise sind ein paar in der Gruppe nicht allzugut zu Fuss, eine immer wieder angenehme Tatsache. Der Todaiji-Tempel ist das grösste Holzgebäude der Welt, der darin enthaltene Buddha der zweitgrösste - der grösste steht in Hongkong, er wurde allerdings erst vor ein paar Jahren gebaut, während der Buddha von Nara 1200 Jahre alt ist! Die Grösse ist imposant, auf der linken Hand der Statue fände ein kleines Auto (wie etwa der Honda Today) Platz. Der Tempel war aber früher noch grösser: Fast ausnahmslos alle Bauten in Japan werden immer und immer wieder von Feuern zerstört (bei Holzbauten mit Papierwänden auch nicht verwunderlich) und neu aufgebaut, die Tempel, die man besucht, sind also selten älter als 150 Jahre. Als der Todaiji-Tempel zum zweiten Mal abgebrannt war, wurde er in nur 2/3 der Originalgrösse wieder aufgebaut.

Beim Tempel entdecke ich einen Süsskartoffel Händler, der in einem mit Holz befeuerten, mobilen Ofen seine Kartoffeln gart. Ich kaufe mir selbstverständlich sofort eine und bald geniesse ich die Kartoffel, die herrlich süss ist und geschmacklich an Edelkastanien (in der Schweiz Marroni genannt und zur Winterzeit sehr beliebt) erinnert. Die Schale der länglichen Knollen ist fast gänzlich verkohlt und daher einfach zu entfernen, am Anfang muss man höchstens aufpassen, dass man sich die Finger nicht verbrennt. Süsskartoffeln sind es übrigens auch, die Tenchi, Ryoko und Ayeka am Anfang der 3. TV-Folge zubereiten und essen. Diese Zwischenverpflegung, die allerdings recht nahrhaft ist, ist übrigens die einzige Form von Kartoffeln, die in Japan ausserhalb Okinawas verbreitet ist.

Schon bald sitzen wir im Kintetsu Limited Express, einem Zug der Nankai Linie und lassen die erste Hauptstadt von Japan, Nara, hinter uns. Die Nankai Linie unterhält ausgesprochen schöne Züge mit ausgesprochen hübschen Zugsbegleiterinnen, so dass die kurze Fahrt nach Osaka sehr angenehm verläuft. Nara war ein idyllisches Bergdorf und nachdem man durch einen langen Tunnel gefahren ist, ist man bereits in den Vororten von Osaka, ein Wechsel wie Tag und Nacht. Seit Tokyo waren wir zwar in Kyoto, welches eine Millionenstadt ist, aber nie mehr in einer der grossen Ebenen. Die Ebene in der Osaka und Kobe - welches durch das Erdbeben traurige Berühmtheit erlangt hat - heisst Kansai und ist, neben der Kanto-Ebene, der zweite Bevölkerungs- und Industrieschwerpunkt Japans.

Im Bahnhof von Osaka angekommen brauchen wir nur den Lift zu nehmen um in unser Hotel zu gelangen: Das Hotel Nankai South Tower ist Teil des Bahnhofs Namba, der neben vielen Zugs- und U-Bahnlinien und unserem Hotel noch unzählige Geschäfte, Gaststätten und sogar ein ganzes Warenhaus beherbergt. Nach der Ankunft will ich mich verpflegen gehen, da mir der Sinn nach Sushi steht, muss ich meine Schwester ihrem Schicksal überlassen (sie mag es nicht, sie hat es aber, anders als die meisten Touristen, wenigstens probiert).

Draussen merke ich sofort, dass es spürbar kälter geworden ist, 16° statt der gewohnten 21°. Mit meinem T-Shirt und der dünnen Jacke bin ich ein bisschen underdressed, dies bemerkt auch ein Osakaner, der mich darauf aufmerksam macht. Nicht nur habe ich von ihm das Wort samu (kalt) gelernt, ich merke auch, dass die Bewohner von Osaka viel aufgeschlossener sind als im restlichen Japan, wenn Sie also Kontakt zur Bevölkerung suchen, sind Sie in Osaka gut aufgehoben. Auch von der Kleidung her ist Osaka viel westlicher als Tokyo oder gar dem als versnobt geltenden Kyoto. Die Osakaner behaupten von den Tokyotern sie seien Schlafmützen, bei diesen wiederum gelten erstere als verfressen. Beide Vorurteile scheinen zu stimmen: Osaka ist einiges belebter und chaotischer als Tokyo (und Tokyo kann es mit Chaos locker mit jeder Weltmetropole aufnehmen) und scheint nur aus Gaststätten zu bestehen. Die Gaststättendichte nimmt ständig zu als ich mich der Dotonbori Strasse, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, nähere, die Leute in Osaka scheinen nur zu shoppen und zu essen! Bald finde ich ein automatisches Sushilokal, in dem ich mir die Sushis von den Fliessbändern nehmen kann. Für nur ¥600 (also weniger als 8.-- Franken) verlasse ich das Lokal pappsatt und verbringe meinen Abend noch in ein paar Spielsalons.

10. Tag, Osaka - Koya-san - Osaka

Nach einem mittelprächtigen Morgenessen, seltsamerweise ist das Nankai South Tower das beste Hotel, in dem wir in der ganzen Zeit untergebracht waren und Osaka ist für seine leiblichen Genüsse berühmt, das Morgenessen war aber eher durchschnittlich. Vermutlich bin ich nach 10 Tagen Japan aber auch einfach zu verwöhnt. Nach Japanferien muss man seine Ansprüche wieder gewaltig herunterdrehen, um den lausigen Service, den man auf der restlichen Welt geboten kriegt, zu ertragen. Eine Rolltreppenfahrt später sitzen wir bereits im Koya Limited in Richtung des Tempelberges Koya-san, ebenfalls ein sehr schöner Zug der Nankai Linie. Dort angekommen müssen wir noch in einer fast hundert Jahre alten Standseilbahn auf den auf über 900m liegenden Berg fahren.

Steingarten (Koya-san)

Ein Steingarten in Kyoto

Auf dem Koya-san steht eine alte Tempelstadt, dem Hauptheiligtum des Shingon, der zweitgrössten buddhistischen Sekte Japans, die über 5 Millionen Anhänger zählt. Zu seiner Blütezeit lebten 3000 Mönche in dieser Stadt, heute sind es immer noch etwa 1000. Da der Buddhismus in Japan kein Zöllibat kennt - im Shintoismus mit seinem Ahnenkult wäre dies sowieso undenkbar - und Mönche oft verheiratet sind und Kinder haben, ist Koya-san auf den ersten Blick eine normale Stadt mit Läden, Lokalen, Schulen (die meisten Schüler stammen allerdings von ausserhalb), einem Krankenhaus etc., erst auf den zweiten Blick sieht man, dass es eine Tempelstadt mit über 120 Tempeln ist.

Diese wurde im Jahr 860 von Kobo Daishi, dem Begründer des Shingon, gegründet. Kobo Daishi ging in jungen Jahren nach China um den Buddhismus zu studieren, die in Sanskrit, der alten indischen Sprache, geschriebenen Schriften konnte in Japan niemand lesen. Er war dort so erfolgreich, dass er zum höchsten Buddhistischen Würdenträger des Reichs der Mitte wurde, er ein Ausländer! Als er nach Japan zurückkehrte, hatte er die übersetzten Schriften im Gepäck, die in Japan nun endlich gelesen werden konnten. Zu dieser Zeit gründete er die Shingon Sekte, der Begriff Sekte hat übrigens in Japan den schalen Beigeschmack, den er bei uns hat, überhaupt nicht. Bei der Tempelbesichtigung wurden wir von den Mitarbeitern der Shingon Sekte übrigens zu einem grünen Tee und einem Gebäck eingeladen, dabei wurden auch einige Schriften über Shingon und den esoterischen Buddhismus verteilt. Missionieren ist im Buddhismus eigentlich unbekannt, in Japan sind die Sekten aber darauf angewiesen da die Religion keinerlei staatliche Unterstützung, also auch keine Steuern erhalten und von den Spenden von Mitgliedern abhängig sind. In Japan ist es aber auch selbstverständlich, dass dies sehr unauffällig und ganz und gar nicht aufdringlich geschieht, wir sind also nicht in ihre Klauen geraten.

Danach sind wir durch den berühmten Friedhof von Koya-san geschlendert. Die bis 800 Jahre alten Gräber sind sehr schön und mitten in einem uralten Zedernwald, in dem die Zedern Durchmesser von 3-4 Metern erreichen. Der Friedhof wird übrigens immer noch benutzt, davon zeugen viele brandneue Steine, die Frage wer hier begraben wird ist übrigens eine reine Geldfrage, Religion hat damit überhaupt nichts zu tun. In Koya-san sind unter anderem Shogune (die haben allerdings eigene Pagoden), berühmte Künstler und andere Leute des öffentlichen Lebens beerdigt. Unter anderem sehen wir ein Mahnmal für die Opfer der Kämpfe um Borneo im zweiten Weltkrieg. Das Denkmal erinnert an die australischen, einheimischen und japanischen Gefallenen, vom den Japanern manchmal anhaftenden Nationalismus ist hier nichts auszumachen. Nebst einem Mahnmal für die bei der Arbeit verunglückten Mitsubishi-Arbeiter, welches die Firma eine ziemliche Stange Geld gekostet hat, weil es sehr gross ist, entdecken wir ein Kuriosum: Ein Grab ist Ameisen gewidmet! Gebaut wurde es von einer Firma, die Insektizide herstellt und so den milliardenfachen Mord an den Tieren, die schliesslich auch Lebewesen sind, sühnen will. Ob dies bei uns einer Firma in den Sinn käme?

Inmitten des Geländes besuchen wir noch das Grab von Kobo Daishi, dem Ziel der vielen Pilger, die wir immer wieder antreffen. Wir beobachten eine Gruppe bei einer Zeremonie und erstarren zu Salzsäulen, um sie nicht zu stören. Völlig unnötig, sofort fängt eine Frau aus der Gruppe unserer Führerin zu erklären, wer sie sind und was sie dort tun, die Touristen sollen doch erfahren was hier vor sich geht. Die Japaner sind in religiösen Dingen erstaunlich tolerant, wäre fotografieren im Tempel nicht verboten gewesen, hätten sie uns vermutlich aufgefordert, ein Gruppenfoto mit ihnen zu machen. Würden sich Fanatiker, egal ob Christen in Nordirland, Hindu in Indien, Juden in Israel oder Muslime in Afghanistan ein Beispiel daran nehmen, unsere Welt wäre gleich ein ganzes Stück friedlicher.

Gerne wären wir länger in Koya-san geblieben, da das Spazieren bei diesem Wetter im wunderschönen Friedhof und seinem Spiel von Licht und Schatten eine Freude war, leider drückt der Zeitplan und die sanften Aufforderungen von Frau Schwarzen, unserer Schweizer Reiseleitung, an O-hashi-san doch einfach den nächsten Zug zu nehmen fruchten nicht, wenn in Japan im Plan steht, dass man den Zug XY nimmt, wird dieser eben genommen, basta! Es bleibt aber genug Zeit um zu essen, in einer sehr gemütlichen Beiz bestelle ich ein traditionelles Mittagsmal (eine Art Nobel-O-bento mit unagi (Aal) der sehr gut schmeckt. Als ich bei der Auslage den Preis (¥1800, es war eines der grössten Menus) richtig lesen kann, fällt O-hashi-san fast tot um, Japaner sind extrem erstaunt, wenn ein gaijin (Ausländer) ein paar Worte Japanisch spricht, erst recht wenn er noch einen Preis lesen kann. Sie sehen also, dass es sich wirklich lohnt, diese zehn Zeichen zu lernen. Im Restaurant hat es auch Teppan (siehe Teppan-Yaki) an denen Familien, von der Oma bis zum Knirps, am essen sind. Sind die Japaner normalerweise sehr formell, beim Essen sind sie es ganz und gar nicht und das gemeinsame Essen macht offentlichlich allen einen Riesenspass. Die Tatsache, dass man sehr eng aufeinander auf den Tatamis sitzt, trägt wohl auch viel dazu bei. Wenn ich da an meine Familienausflüge, den Schrecken meiner Kindheit, in denen wir Kinder stundenlang artig am Tisch sitzen mussten, während die Erwachsenen sich unterhielten, zurückdenke...

Satt, zufrieden und ausgeruht (etwas was man in Japan eher selten ist) machen wir uns auf um nach Osaka zurückzufahren. Bereits auf der Fahrt zurück bemerkt man in der Gruppe eine leichte Melancholie, es dämmert uns allen, dass dies der letzte Ausflug gewesen ist und es am nächsten Tag Abschied von Japan zu nehmen gilt. Im Hotel angekommen, müssen wir aber zuerst schweren Herzens von O-hashi-san Abschied nehmen, ich tue dies mit einem o-hashi-sama domo arigato gozaimas und einer Verbeugung. Ich weiss zwar nicht ob dies angebracht war, sie war aber so baff und beeindruckt, dass ihr Auf Wiedersehen nur noch ein Gestammel war und ich sie ganz offensichtlich aus dem Konzept gebracht habe. Wie schon beim Abschied von Kubo-san fällt mir das Dichterwort ein, wonach Abschied nehmen immer ein bisschen sterben sei.

Es hilft nichts und ich muss die trüben Gedanken vertreiben und ich stürze mich wieder in das Gewühl von Osaka, esse schon wieder Sushi in der gleichen Bar und sehe mir unter anderem den Hauptsitz der Kirinbrauerei, an der Yebisubrücke gelegen, an. Die meiste Zeit verbringe ich aber mit schlendern und dem Beobachten der Jugend von Osaka, die sehr lebhaft ist und bis in die tiefe Nacht um die Häuser zieht. Ich gerate dabei auch in den Rotlicht Bezirk von Osaka, dieser Name ist in Japan allerdings nicht angebracht, da rote Laternen immer Esslokale anzeigen. Zwar gibt es auch hier Herren, die vor den Etablisments die Kundschaft anlocken, sie tun dies aber völlig unaufdringlich und sind kein Vergleich zu ihren Berufskollegen die Mann in Paris antrifft. Auch sonst ist es hier übrigens sehr unaufdringlich, wären da nicht die eindeutigen Bilder, mit welchen die Dienstleistungen angepriesen werden, würde man sich in einer ganz normalen Wohngegend mit einigen Esslokalen wähnen. Auch wenn Japanerinnen äusserst nett sind, verzichte ich allerdings auf das zweifelhafte Vergnügen, dies ist schon aufgrund der astronomischen Preise empfehlenswert.

Auf dem Heimweg stolpere ich noch über einen Spielwarenladen, in dem ich einige Neon Genesis Evangelion Artikel kaufe. Mein bestes Stück ist dabei eindeutig das lebensgrosse Stoffposter von Rei Ayanami, der in Japan eindeutig beliebtesten Darstellerin der Serie.

11. Tag, Abreise von Osaka

Anime Plakat (Osaka)

Ein riesiges Plakat wirbt in Osaka für Animes

Nach dem Frühstück mache ich mich auf die Socken, schliesslich sind Animes in dieser Reise bisher eindeutig zu kurz gekommen und ich muss noch einiges nachholen. Im Business-Center hilft mir die anwesende Dame ein Kino zu finden, in dem der Evangelion Movie läuft, wenn ich in die 12:00 Uhr Vorstellung gehe, kann ich es problemlos schaffen um 15:00 Uhr wieder im Hotel zu sein. Das freut mich einerseits, andererseits bedeutet dies auch, dass ich keine Zeit mehr für weitere Einkäufe habe. Ich werde wohl bald wieder nach Japan reisen müssen, um Tonnen von Fanartikeln meiner liebsten Serien kaufen zu können.

Die wenige Zeit nutze ich noch, um mich ein bisschen im Elektronikviertel von Osaka umzusehen, bald muss ich aber schon zum Kino hetzen, in dem die Vorstellung bald anfängt. Der Eintritt ist mit ¥1800 recht happig und ich kaufe noch schnell ein T-Shirt, heute könnte ich mich ohrfeigen, dass ich das Programm nicht gekauft habe, anbetracht der astronomischen Fantasiepreise, die heutzutage für das Programm des Nausicaä Films bezahlt werden, wäre dies eine lohnende Investition gewesen. Im Kino fällt mir auf, wie unterschiedlich das Publikum ist: Zwar sind Teenager im Alter von ca. 18 Jahren der Hauptteil des Publikums, ein siebzigjähriges Ehepaar und eine Mutter mit ihrem vielleicht 5-jährigen Sprössling sind aber ebenfalls vertreten (es hatte wenig Publikum, erstens war Donnerstag und der Film war nicht mehr sehr neu). Letzteres finde ich sehr erstaunlich, der Evangelion Film hat zum Schluss hin einige sehr brutale Szenen, die bei uns nicht unter 18 Jahren durchgingen, in Japan scheint dies niemanden zu stören, die Mutter am allerwenigsten. Vom Film verstehe ich natürlich nur Bahnhof, bei dieser Serie, der man selbst mit dem Text kaum folgen kann, ein ziemliches Problem. Trotzdem ist es schön ein Anime mal auf der grossen Leinwand zu sehen, für mich eine Premiere. Aber als gemein würde ich die Vorschauen auf das Programm bezeichnen: Als nächstes laufen nicht nur der neue Slayers Film (wenn ich mich recht erinnere heisst er Slayers: Great) sondern auch der neuste Film meiner Lieblingsserie an: Tenchi Muyo! Eve in Midsummer. Das Leben kann manchmal ganz schön grausam sein, jetzt heisst es mindestens ein Jahr warten bis er bei uns erscheint.

Im Hotel angekommen, steht bereits unsere nächste Führerin bereit. Sie hat allerdings nur die Aufgabe, uns zum Flughafen zu bringen. In Japan ist man äusserst um seine Gäste besorgt, man traut drei erwachsenen Touristen nicht einmal zu, aus einem Hotel, das Teil des Bahnhofs ist, zum Flughafen zu finden (der Rest der Gruppe ist schon morgens um 7:00 Uhr zum Flughafen gefahren, da sie noch nach Taiwan weiterreisen). Mit dem Rapi::t-ß, einem hypermodernen Designerzug der Kansai Linie, fahren wir zum Kansai Flughafen, der eine gute halbe Stunde von Osaka entfernt ist.

Kaisai Airport (Osaka)

Italienisches Flair in Osaka: Der Kansai Airport

Der Kansai Flughafen ist eines der vielen Wunder moderner Architektur in Japan. Dieser riesige Airport, auf dem fast ausschliesslich Boeing 747-400 Jumbo-Jets landen und starten, wurde vollständig ins offene Meer, mehrere Kilometer vor der Küste ins 7 Meter tiefe Wasser gebaut. Nun sind Flughäfen im Meer an sich nichts spezielles, z.B. Hongkong Kai Tak, normalerweise werden diese aber in Küstennähe in Untiefen gebaut, Kansai Airport ist dagegen absolut einmalig und hat die unvorstellbare Summe von 20 Milliarden Franken gekostet. Der Flughafen selber besteht aus einem einzigen, 1.7 Kilometer langen Gebäude, das innen ohne jegliche Wände auskommt und aus einer Stützkonstruktion mit Glashaut besteht. Trotz seiner Grösse ist Kansai der übersichtlichste, angenehmste und effizienteste Flughafen, den ich bisher gesehen habe: Von der Ankunft bis Fingerdock vergehen keine 10 Minuten und man muss nur etwa 200 Meter laufen! Verglichen mit dem endlosen Gelatsche in endlosen Gängen der meisten Flughäfen (inkl. Tokyo-Narita) eine Wohltat. Unerbittlich zerrinnen die letzten Augenblicke in Japan und vor dem Hintergrund des Häusermeeres von Kansai, das in mehreren Kilometern Entfernung kaum mehr zu erkennen ist, wartet bereits ein Airbus 340, der uns aus diesem wunderbaren Land bringt. Im Flugzeug, als die letzten Fetzen von Okinawa und damit von Japan unter den Wolken verschwinden, fange ich schon an mich zu fragen, ob ich dies alles wirklich gesehen und erlebt habe oder ob es doch nur ein Traum war.